Sagen, Prenzlauer

Die Sage ist eine zunächst auf mündlicher Überlieferung basierende, kurze Erzählung von unglaubhaften, fantastischen Ereignissen, die aber als Wahrheitsbericht aufgebaut ist oder auf tatsächlichen Begebenheiten beruht. Es kommt oft zur Benennung eines Helden und damit zur Heldensage. Der ursprüngliche Verfasser der Sage bleibt in der Regel unbekannt, der Verfasser einer zugehörigen schriftlichen Fixierung ist dagegen gelegentlich zumindest grob benannt.

Als Prenzlauer Sagen sind bekannt:


Die Hände von Prenzlau

Der erste Hohenzoller in der Mark, Kurfürst Friedrich I., hatte in seinem Lande harte und schwere Kämpfe auszufechten. Aber mit fester Hand ging er gegen das Raubrittertum vor, und er hatte manchen Strauß mit den Städten zu bestehen, die in der langen Zeit der Herrenlosigkeit in der Mark gegen Fürsten und Adlige mißtrauisch geworden waren und gelernt hatten, sich auf ihre eigene Kraft zu verlassen. Die Städte die an den Grenzen der Mark lagen, mochten es nicht gern mit den Fürsten der Nachbarschaft verderben, da diese ihnen, wie sie mehrfach erfahren hatten, eher beistanden als die eigenen Landesherren. In dem Kriege nun, den Friedrich gegen die Pommernherzöge führen mußten, hatte die Stadt Prenzlau, die dem Kurfürsten den Eid der Treue geschworen hatte, zwar den Feinden die Tore verschlossen. Aber die Bürgermeister Klaus Belz und Zabel Grieben hatten Verrat geübt. Sie hatten einen der pommerschen Hauptleute verkleidet in die Stadt hereingelassen, um mit ihm zu verhandeln. Es war ein gewisser Klaus Koppen, ein Kriegsknecht und Hauptmann der pommerschen Herzöge gewesen, der 1425 im Februar die Stadt Prenzlau den beiden Fürsten von Stettin, Kasimir und Otto, in die Hände gespielt hatte. Er hatte sich von Rats, der mit den niederen Bürgern in Zwist lebte, zum Torwächter auf dem Blindower Torturm bestellen lassen. Er hatte dann einst in dunkler Februarnacht an diesem Torturme eine Leuchte ausgestreckt, die ein Zeichen war, daß die Pforte dem pommerschen Fürsten offenstände. So waren die Pommern in die Stadt eingedrungen. Herzog Otto rief den Bürgern bei der Huldigung zu: "Hättet ihr euch als biedere Männer gezeigt und nicht als feige Memmen, so hätte ich eure Stadt nimmer gewinnen können." Daher sagte man später, wenn ein Bürger gar finster dreinschaute: "Er sieht aus, als wenn er Prenzlau verraten hätte." Da der Kurfürst nicht im Lande war, mußte sein ältester Sohn, der Statthalter Markgraf Johann, 1426 mit einem Heere aufbrechen, um Prenzlau zu befreien. Bei seinem Nahen setzte man die brandenburgische Partei in Prenzlau mit ihm in Verbindung. Ein ihm treu ergebener Bürger, Rodinger, der Befehlshaber der Stadtknechte, war zur Stelle. Er führte die Märker durch Sumpf und Wiesen, und trug auf seinen starken Schultern den Markgrafen durch die Ucker, in der Dunkelheit der Nacht durch eine ausgestreckte Leuchte geleitet. Dicht vor dem Ufer drohte aber Rodinger unter der Last des geharnischten Ritters zu erliegen. Da feuerte ihn Prinz Johann mit den Worten an: "Steh fest, mein Mann, du trägst Brandenburg auf deinem Rücken!" Der Überfall gelang. Die Schlachtrufe: "Brandenburg!" "Stettin!" erklangen durch die fackelbeleuchteten Straßen. Die Pommern wehrten sich mutig, mußten aber endlich weichen. Klaus Koppen hielt mit äußerster Tapferkeit das Blindower Tor noch einige Tage lang. Als man ihm vor seinem Turme aber Stroh und grünes Holz anzündete und ihn ausräucherte, ergab er sich und erhielt ehrenvollen Abzug. Die Streitigkeiten zwischen dem Rat und den Bürgern wurde geschlichtet. Den beiden verräterischen Bürgermeistern wurde die rechte Hand, mit der sie dem Kurfürsten Treue geschworen hatten, abgehauen; dann wurden sie enthauptet. Die beiden Hände aber hat man lange Zeit zum Andenken an jene Tat im Rathause zu Prenzlau aufbewahrt.


Der Rabe auf dem Mittelthurm zu Prenzlau

Dem Erbauer und ersten Beherrscher der Stadt Prenzlau, Namens Primislav, kam einst ein goldner Siegelring fort, und er argwöhnte, daß ein Knappe denselben gestohlen habe; dieser leugnete zwar die That, wurde aber dessenungeachtet, da alle Umstände gegen ihn sprachen,
von der Spitze des Mittelthurms, der jetzt mitten in der Stadt ist, ehemals aber an der Stadtmauer lag, herabgestürzt. Lange Zeit darauf jagte Primislav einmal in dem vor Prenzlau gelegenen Walde, und ließ sich, um sein Mittagsmahl einzunehmen, mit seinen Begleitern
grade an einer Stelle nieder, wo man eben mit dem Fällen einer Eiche beschäftigt war. Der Baum fiel, und man entdeckte in seiner Spitze ein Krähennest, in welchem sich zum größten Erstaunen aller Anwesenden der vermißte Siegelring des Fürsten fand. Dieser kehrte tief
ergriffen sogleich nach Prenzlau zurück, und ließ aus dem Holze der gefällten Eiche das Bild einer Krähe anfertigen, das man noch jetzt auf dem Mittelthurm der Stadt gewahrt.


Das wunderbare Gesicht

Am ersten Tag des Hornungs des Jahres 1554, als die Sonne hat wollen untergehen, ist zu Prenzlau in der Uckermark ein gar wunderbares Gesicht gesehen worden. Es hat sich nämlich plötzlich am Himmel eine dicke Wolke aufgetan, und man hat darin gar deutlich und augenscheinlich gesehen die Gestalt unseres Erlösers und Seligmachers Jesu Christi, wie er am Kreuze gehangen. Neben dem Kreuze haben zu beiden Seiten viele Personen gestanden. Nachdem solches alle Bürger und Einwohner der Stadt lange genug haben betrachten können, hat das Bild sich aus der Wolke langsam und allmählig heruntergelassen und ist in einer großen Feuergluth im Prenzlauer See verschwunden. Was das Gesicht bedeutet, hat man nicht erfahren können.
(Andreas Angelus Annal. March. Brand. pag. 353)


Die Knaben und die Dohlen auf dem Marienturm

Auf den Türmen der Marienkirche in Prenzlau nisteten seit undenklichen Zeiten die Dohlen. Zwei Knaben beschlossen einmal, sich junge Dohlen aus einem Neste zu verschaffen. Eines Tages stiegen sie auf den Turm und schauten aus den obersten Luken. Da bemerkten sie über einer Luke ein Nest mit jungen Dohlen. So viel sie sich auch bemühten, sie konnten nicht in das Nest hineinfassen. Da holten sie ein langes Brett und schoben es zur Turmluke hinaus. Während der eine Knabe es festhielt, stieg der andere auf das Brett und konnte nun wirklich das Dohlennest mit seinen Händen erreichen. "Wieviel hast Du?" fragte der Knabe, der das Brett hielt. "Zwei", antwortete der andere. "Gibst Du mir eine ab?" fragte nun der erste. "Nein", rief der Knabe, der draußen stand, "diese behalte ich". "Du", drohte der erste, "wenn Du mir keine abgibst, dann lasse ich das Brett los!" "Diese Dohlen behalte ich!" lautete die Antwort. Da ließ der Knabe das Brett los und es kippte sogleich über. Der andere Junge stürzte in die Tiefe. Die Luft aber setzte sich unter die Kleider und er schwebte ziemlich langsam zu Boden. Unten angekommen, schoß er zwar in die Knie, aber er konnte sich gleich wieder aufrichten. Die beiden Dohlen hatte er festgehalten und lief damit freudestrahlend nach Hause.


Die Pflastersteine auf dem Marktplatz

Unter den Bürgern der Stadt Prenzlau war vor Zeiten ein großer Streit aufgebrochen. Auf dem Marktplatz standen sich die Parteien kampfbereit gegenüber. Da niemand nachgeben wollte, hieb man mit mächtigen Knüppeln aufeinander los. Die stärkere Partei war bald siegreich. Die dickköpfigen Gegner wollten trotzdem nicht nachgeben. So ging der Kampf weiter, bis die Unterliegenden buchstäblich in den Boden hineingeprügelt worden waren. Schließlich schauten nur noch die Köpfe heraus. Nun erst ließ man vom Kampfe ab. Seit dieser Zeit ist der Marktplatz von Prenzlau gepflastert. Wie das geschehen ist, davon wissen Fremde, welche die Stadt besuchen, zu erzählen. Als einzige Erinnerung nehmen sie gewöhnlich das "schlechte Pflaster" mit.


Die Riesen bei Prenzlau

Vor alten Zeiten haben sich einmal ein Paar Riesen in der Nähe von Prenzlau aufgehalten, und zwar hat der eine auf dem Klinkower Berge unfern der Stadt, der andere etwa eine und eine halbe Meile davon, in der Nähe des Dorfes Kleptow gewohnt. Diese beiden geriethen in Streit mit einander, und der Klinkower warf dem Kleptower mit einem großen Stein ein Auge aus. Dieser Stein liegt immer noch Kleptower Berge, und man sieht noch ganz deutlich die zehn Finger des Riesen, welche so, wie er den Stein angefaßt, sich in demselben abgedrückt haben.


Die Schlangen von Prenzlau

Rund um die Stadt Prenzlau, die Hauptstadt der Uckermark, findet man keine einzige Schlange, so weit man die große Glocke der Stadt hören kann. Vor diesem gab es dort eine große Menge dieses Ungeziefers. Da war aber zu einer Zeit ein Verbrecher in der Stadt, der das Leben verwirkt hatte. Der erbot sich, alle Schlangen aus der Gegend zu vertreiben, wenn man ihm das Leben schenke. Dieses geschah, und man hat seitdem keine Schlangen dort wieder gesehen.


Lütt Heinrich

Ein geheimnisvoller Gang, der zwischen dem alten Rathaus von Prenzlau und der Marienkirche bestanden haben soll, beschäftigte schon immer die Phantasie und - teilweise auch noch in unserer Zeit - die Gemüter. Dort soll sogar den Benutzern des Ganges, Heinrichs das Kind, der als Domgeist in dem Gewölbe unter der Marienkirche hauste, erschienen sein. Als nämlich ein Mann, der in der Nähe der Marienkirche ein gar zu armseliges Haus bewohnte, einen Auftrag zu erledigen hatte, und mit einem Lichtlein durch den Gang lief, da stand plötzlich der "lütt Heinrich" vor ihm und rief ihm zu: "Zünde dein Haus an und siehe!". Sehr verwundert geht der arme Mann weiter. Niedergeschlagen führt er seinen Auftrag aus und geht nach Hause. Verzweifelt denkt er an Frau und Kind, zündet aber dennoch sein altes und halb zerfallenes Haus an. Seine Frau und sein Kind fliehen. Doch er sieht gelassen in die Flammen, ungeachtet der Vorwürfe seiner Nachbarn. Und siehe da, aus den zerberstenden alten Mauern fällt ein Kasten. Der überraschte Mann öffnet ihn und findet darinnen eine große Anzahl von Goldmünzen. Schnell löscht er die Flammen und läßt die verkohlten Baureste abbrechen. Mit dem Gold baut er sich ein neues und schöneres Haus und lebt darinnen mit seiner Familie bis an sein Lebensende zufrieden und glücklich.


Geschichten aus der Badestube

Eine alte Badestube soll sich in Prenzlau, in der Nähe des Kuhtores am Mittelgraben, befunden haben. Sie wurde jahrelang von einem jungen Mann besucht, der auch für die alte Muhme, von der man sich viel merkwürdiges erzählte, ein Auge hatte. Der Alten, die ihren Platz in der Ofenecke hatte, schenkte er ab und zu etwas. War es einmal ein mürber Apfel oder ein "Salzkötter", er hatte oft für sie eine Aufmerksamkeit. Als Dank dafür schenkte sie ihm dafür eines Tages drei Erbsen. Er solle sie nur gut aufheben. Wenn er in große Not käme, solle er nur eine auf die Erde werfen, dann würde ihm geholfen werden. Es verstrich eine ganze Zeit, und er dachte gar nicht mehr an die Wundererbsen. Eines Tages, er war gerade bei der Feldarbeit, da bekam er schrecklichen Durst. Da fielen ihm die Erbsen ein. Er warf eine zu Boden und schon stand ein Krug mit kühlen Wasser vor ihm auf dem Boden. Ein anderes Mal traf er ein weinendes kleines Mädchen an. Ihm war der Kranz für das Grab ihrer Mutter vertrocknet. Er warf die zweite Erbse zu Boden, und schon waren die Blumen wieder frisch und die Tränen des Mädchens getrocknet. Etwas später wurde seine Nachbarin krank. Ohne Bedenken opferte er auch die dritte Wundererbse, um der Kranken zu helfen. Als er wieder zum Bad ging, traf er die Alte wieder. Ganz leise sagte sie zu ihm, er habe ja nur die Erbsen dafür gebraucht, anderen zu helfen. Nun aber wolle sie ihm eine Schuppe von einem Karpfen geben, die ihm einen Wunsch erfüllen würde. Im Herbst ging er in den Wald, um Holz zu holen. Da begegnete er einer alten Frau, die sich mit einem großen Holzbündel abquälte. Die Hölzer waren aber so schwer wie Blei. Da erinnerte er sich aber an die Schuppe und er warf sie zu Boden. Er wünschte sich die Alte als junges Mädchen und daß Holz zu Gold werden würde. Sofort stand ein bildschönes Mädchen vor ihm mit einem Korb voller Goldstücke. Sie sagte, daß sie von einer bösen Hexe verzaubert worden sei, aber nun endlich durch seine fortwährende Hilfsbereitschaft erlöst worden wäre.


Die blutrote Rose

Fährt man aus Prenzlau in Richtung Osten, nach Bietikow, so kommt man an der Georgshospitalkirche vorbei. Links davon, auf einem kleinen Hügel, stand seit alters her eine große Eiche. An diese Eiche wurden Verbrecher aufgehängt. Um die Eiche herum wurden auf diesem Richtplatz dann auch die Übeltäter verscharrt. Ein riesiger Rosenbusch, der dort wuchs, trieb jedes Jahr im Juni wundervolle Blüten. Er war eine richtige Sehenswürdigkeit geworden. Jeder, der kam, hatte eine richtige Scheu vor ihm. Und damit hatte es folgende Bewandtnis: In der Kammstraße im nahen Prenzlau wohnten zwei Familien, von denen die eine nur einen Sohn, die andere nur eine Tochter hatten. Die Kinder waren zusammen aufgewachsen, hatten sich sehr gern und wollten heiraten. Der Vater des Mädchen hatte mit ihr jedoch andere Pläne. Sie sollte nicht den Sohn des armen Kammachers heiraten, sondern den Sohn eines reichen Goldschmiedes. Je näher aber die Hochzeit kam, um so größer wurde die Liebe der beiden zueinander. Kurz vor der Hochzeit verließen beide ihre Elternhäuser und wanderten weg von Prenzlau. Aber so sehr sie sich mühten, um sich gemeinsam zu ernähren, ihr Leben stand unter keinem guten Stern. Ihr Mann verließ sie, um woanders sein Glück zu versuchen. Sie ernährte sich kümmerlich vom Besenbinden und wartete sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Sie zog wieder nach Prenzlau, und wie groß war ihr Erschrecken, als man eines Tages einen Mörder in die Stadt brachte: Es war ihr geliebter Mann. Man führte ihn zum Galgenberg; es half der Frau nichts, man ließ sie nicht mehr zu ihm. Erst als das Urteil vollstreckt war, und man den Toten vom Galgen abgenommen hatte, konnte sie zu ihm gehen. Sie warf sich über ihn und drückte einen Kuß auf seine Lippen. Als man die beiden trennen wollte, merkte man, das auch sie tot war. Nun begrub man beide am Galgenhügel. Aus ihrem gemeinsamen Grab wuchs nun der Rosenstrauch, der in jedem Jahr blutrote Rosen der Liebe über den Tod hinaus trug.


De oll Bullerbeck

Mehrere Sagen wurden über die Prenzlauer "Kammstraße" erzählt. Die Straße, eine Querverbindung zwischen der Steinstraße und dem südlichen Teil der Baustraße, nordöstlich der alten Nikolaikirche, soll der Sitz der Prenzlauer Kammacher gewesen sein. Sie wohnten hier still und bescheiden und stellten fleißig die so oft benötigten Kämme her. Tatsächlich fand man Anfang der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts am Ostrand der Altstadt von Prenzlau, in der Nähe der Lindenschule, ein Gelände, in dem im 11. und 12. Jahrhundert Kämme hergestellt wurden. Ein älterer Mann namens Bullerbeck wohnte gleich am Eingang der Kammstraße. Es war das schönste Haus in der ganzen Straße. Bullerbeck war zugewandert und ein großer, starker Kerl, dem keine Arbeit zuviel wurde. Er war auch niemals krank. Tag und Nacht konnte er seiner Arbeit nachgehen, und es war eine Lust zu sehen, wie er aus dem Horn die Kämme "zuschickte", "külpte", "gründete" und glattschliff. Ermahnte man ihn vor der übermäßigen Arbeit, so antwortete er, er hätte keine Zeit an Krankheit und Tod zu denken.
So ging es Jahr für Jahr. Als er nun eines Tages an einem besonders schönen Kamm arbeitete, hörte er im Holz seiner Werkstatt die Totenuhr ticken. Er bekam einen so großen Schreck, daß er sogleich ein Kuhhorn nach der Stelle warf, woher er das Ticken hörte, und er rief: "Deibel (Teufel), halt die Uhr an!" Kaum hatte er das ausgesprochen, da stand auch schon der Böse persönlich neben ihm. Er wolle ihm seinen Wunsch erfüllen, meinte er. Nur müsse es ihm der Meister schriftlich geben. Das tat er auch; er schrieb dem Bösen auf, er hätte dafür zu sorgen, daß niemals wieder in seiner Gegenwart eine Totenuhr ticken sollte. Totenstill blieb es nun in seiner Werkstatt. Die Jahre kamen und gingen. Die Kinder des Meisters wurden älter und starben schließlich, auch all seine Freunde wurden begraben, nur er blieb am Leben. Als er immer gebrechlicher wurde, da kam aber auch bei ihm der Wunsch, nun endlich die Totenuhr ticken zu hören, damit er sterben könne. Aber vergebens. Eines Tages schlich er sich zur Margarethenkapelle an der Südseite der Marienkirche. Und endlich, hier hörte er die Totenuhr ticken. Hier hatte der Böse die Macht über ihn verloren. Am nächsten Morgen fand man ihn auf dem Boden der Kapelle liegen. Als man ihn wegtragen wollte, zerfiel er zu Staub, so alt war er!


Der goldene Harnisch und die Georgskapelle

Vor mehreren hundert Jahren standen noch an der Georgskapelle verschiedene Wirtschaftsgebäude, die zu dem Hospitalkomplex gehörten. Sie dienten den damaligen Reisenden zur Unterkunft und Pflege der Erkrankten. Eine weite Reise war damals überhaupt kein Vergnügen. So hieß es auch, wenn man eine Reise machte, "in den Krieg zu ziehen." Für die dienenden Brüder der Mönche aus Prenzlau, die das Georgshospital betreuten, wurden die Anforderungen immer größer. Daher beschloß man für die Verwaltung einen "Provisor" zu wählen. Dieser aber war ein schlechter Mensch. Er hatte nämlich am Galgen, der gegenüber von der Kapelle stand, einen Teufelspakt geschlossen, der beinhaltete, daß er bei der Verwaltung der Stiftungen und Wirtschaft fünfzig Jahre tun und lassen konnte, was er wollte.
Als wieder einmal der Teufel den Verwalter nach seinem neuesten Begierden fragte, erfuhr er, daß in der Kapelle eine Statue des heiligen Georg mit einem goldenen Harnisch stand, und gerade diesen Harnisch wollte der Provisor haben. Erst wollte der Teufel nicht so recht an das Unternehmen heran, dann sagte er seine Hilfe zu. Bei hellem Mondschein schlichen sich beide in die Kapelle und mußten zu ihrem Schrecken feststellen, daß der hellschimmernde Georg seinen Spieß genau auf die Eindringlinge gerichtet hatte. Vor Angst flüchteten sie, dabei stolperte der Mönch über den Pferdehuf des Teufels und stürzte. Am Morgen fanden ihn die anderen Brüder mit zerschlagenem Schädel vor der Kapellentür. Sie begruben ihn auf dem kleinen Friedhof bei den Liegehallen für die Kranken des Hospitals. In der nächsten Nacht aber kam der Böse wieder, um sein Opfer zu holen. Beim Suchen nach dem Toten und dem Wühlen in der Erde zertrat er alles mit seinen glühenden Füßen - und die Gebäude gingen in Flammen auf. Die Mönche aber, die alles mit Entsetzen ansehen mußten, flohen voller Furcht nach Prenzlau zu ihrem Kloster. Geblieben ist nur die kleine Kapelle, denn in ihr hält St. Georg Wache.


Die Würfelmühle

Vor langen Zeiten stand zwischen dem Jörgen-Kirchlein und dem Galgenberg auf einem kleinen Hügel eine alte Windmühle, die "Würfelmühle" genannt wurde.
Mit ihr hatte es eine eigene Bewandnis. Um 1700, in der Pestzeit, wollte niemand mehr von den Mühlen aus Prenzlau Mehl kaufen. Da entschloß sich der "Draußenmüller", unweit der alten Kapelle eine neue Mühle zu bauen. Ja, der Plan war wohl da, doch niemand wollte in der wüsten Gegend ein Bauwerk beginnen. "Denn mok ick det sülwst!" sagte nach alter uckermärkischer Art der Müller. Hurtig fing er an, alles nötige Holz herzurichten, abzumessen, aufzustellen. Und es ergab sich von selbst, daß, wenn auch landfremde Menschen, sich dieser oder jener dazufand, der mithelfen wollte.
Vor allem tat sich da ein jüngerer Mensch hervor, dem die Arbeit glatt von der Hand ging. Müllermeister und sein Arbeiter standen sich darum auch so gut, weil sie beide die gleiche Leidenschaft hatten. Sie würfelten gern. Manchmal saßen sie die ganze Nacht zusammen beim Spiel. Einmal war das Glück dem einen, ein andermal dem anderen hold!
Dabei wurde der Bau der Mühle nicht vernachlässigt. Und so kam auch der Tag der Einweihung. Wie immer, fanden sich dazu viele Besucher zusammen. Doch wo blieben der Müllermeister und sein Gehilfe? Sie saßen beim Würfelspiel. "Das letzte Spiel!" meinte der Müllermeister. "Worüm?" fragte der treue Gehilfe? "Wer gewinnt, dem gehört die Mühle!" war die Antwort des Meisters. Die Würfel rollten - die Köpfe wurden heißer - jetzt der letzte Wurf. Der Gehilfe hatte gewonnen! Mit weit offenen Augen starrte der Müllermeister auf die Würfel, dann sank ere tot zu Boden.
Nach den Begräbnisfeierlichkeiten hat dann der Gehilfe die Mühle in Gang gesetzt. Doch, oh Wunder, die neue Mühle drehte sich nur links herum. Was man auch anstellte, es wollte nicht gelingen, die Mühle zu einem anderen Gang zu bewegen. Da ist dann auch der Gehilfe in die weite Welt gezogen. Lange stand die neue Mühle leer und verlassen, bis sie einst durch einen Blitzschlag eingeäschert wurde. Doch in der Volkserzählung wurde noch lange von der "Würfelmühle" gesprochen, und ihre großen Fundamentsteine haben noch lange dort gelgen.


Das heiße Hufeisen

An dem Westgiebel der St. Georgs-Kapelle hat jahrelang ein großes Hufeisen gehangen. Erst in neuerer Zeit ist es verschwunden. Was es zu bedeuten hatte, soll im folgenden erzählt werden.
- Unterwegs, so sagte mir mein Gewährsmann, trifft man oft merkwürdige Menschen und Dinge. Reiste der Teufel doch da eines Tages nach Anklam. Er hätte ja fliegen können, doch das Reiten auf der Straße war ihm interessanter. So kam er auch auf die Straße, die am einstigen Galgen vorbeiführte. Den kannte er ja zu genau, hatte er doch manchen von dort aus in sein Reich geholt. Doch mit dem Krankenkloster des St. Görgen wußte er nicht viel anzufangen. Der Böse fragte darauf einen Bauern, der in der Heide sein Brennholz schlug, was das für Häuser wären und wie man nach Anklam käme.
Nachdem der Bauer ihm das erklärt hatte, ritt er weiter. An der Kapelle traf er einen der Mönche und fragte, ob er auch einmal einen Blick in den Hof des Krankenhauses tun dürfe. Der Mönch führte ihn bereitwilligst herein. Der erste Blick des Teufels fiel auf den Begräbnisplatz mit seinen vielen Gräbern und Kreuzen. Das war zuviel für den neugierigen Besucher. Schnell sprang er auf sein Pferd und spornte es so gewaltig an, daß es beim Ansprung ein Hufeisen verlor.
Dieses Hufeisen hat man dann aufgehoben, obgleich es Hölleneisen war, und zur Abschreckung an die Kapellenmauer genagelt. Lange, lange hat es dort gehangen. Es wurde niemals kalt, niemand konnte es anfassen. Später ist es dann einmal heruntergefallen. Und wie es die Erde berührte, versank es in die Tiefe. Aber mein Großvater hat es noch hängen sehen, meinte der Gewährsmann.


Quellen:
• "Märkische Sagen und Märchen nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben". Adalbert Kuhn, Berlin 1843, S. 215-216.
• "Uckermärkische Sagen", G. Hänsel, KiRO Verlag, ISBN 3-929220-13-x
• "Die Volkssagen der Altmark", J. D. H. Temme, Berlin 1839, S. 105 u. 115
• "Teufelssteine, Unheimliche Geschichten von den Ufern des Flusses Ucker", ARKADIEN e. V., Schibri-Verlag, 1997
• "Sagenschatz der uckermärkischen Kreise", gesammelt und herausgegeben von Rudolf Schmidt - Eberswalde, Prenzlau 1922
• "Sagen aus der Uckermark", Museum der Stadt Schwedt, Schwedter Jahresblätter Heft 2/1981 S. 24-25